Das Dorf Tenkitten
Beim Einzug des Ritterordens in das Samland bestanden schon nachweislich
die Orte Tenkitten, Kalkstein, Legehnen. Wie alt mag die Siedlung wohl sein?
Das Prußia-Museum bewahrt eine in Tenkitten gefundene Bootsaxt auf, so benannt
nach der Form der Axt, die einem Boote glich. Solche Waffen gebrauchten die
Streitaxtleute um 2000 Jahre vor der
Zeitwende. Sie waren nicht die Eingeborenen
hier, sondern Mitteldeutschland ist ihre Heimat. Diese wurde ihnen zu eng,
und so zog der Überschuß der Bevölkerung ab, wohl auch nach dem Osten.
Einer der großen Bauerntrecks der Indogermanen. Hier vermischte sie sich
mit der dort schon ansässigen Bevölkerung und bildeten die baltische Rasse,
bestehend aus Preußen, Letten und Litauern. Die Tenkittener Bootsaxt ist so
klein, daß sie zum Kampfe nicht gebraucht werden konnte. Wir müssen sie als
ein Amulett oder Hoheitszeichen eines Anführers ansehen, und so ist anzunehmen,
daß in Tenkitten schon ein geordnetes Gemeinwesen damals bestanden hat, und so
ist der Anfang von Tenkitten um das Jahr 2000 vor der Zeitrechnung zu setzen.
Es hat damals weitab von der See gelegen. Alte Familienüberlieferungen erzählen,
daß vor Tenkitten noch ein Dorf gewesen ist, das an der See gelegen hat. Jetzt
liegt Tenkitten an der See. Die Adalbertskapelle soll eine Meile von der See
entfernt gelegen haben, jetzt spülen die Ostseewellen neben ihren Trümmerresten.
Bis zum heutigen Tage ist das Abbröckeln der Samlandküste zu beobachten und
jahraus, jahrein müssen die Tenkittener Bauern zusehen, wie mehr oder weniger
große Flächen ihres Besitzes in Meer stürzen. Durch jahrelange Beobachtungen
hat Dr.Brückmann den Küstenschwund auf durchschnittlich einen halben Meter im
Jahre festgestellt. So hat denn Tenkitten noch 1000 bis 1500 Jahre Schonzeit.
Über die Entstehung des Namens Tenkitten ist keine Überlieferung zu uns gelangt.
Professor Gerullis behauptet in seinem Buche über die altpreußischen Ortsnamen,
daß die meisten aus Personennamen abgeleitet seien. Da wir nun Namen wie Naudith,
Suplith, Eldith und ähnliche kennen, so kann es auch einen Enkith gegeben haben,
nach dem die Ortschaft Enkithe, Enkitten genannt wurde, und so hieß nämlich auch
der Ort bis zum Jahre 1643, bis er dann in Tenkitten umgewandelt wurde.
Die Preußen und bei ihnen die Samländer besonders waren ein kampfgewohntes und
kampferprobtes Volk. Um 890 schreibt der Wickinger Wulfstan in seinem Bericht
über die Reise nach dem Preußenlande: Es ist viel Krieg unter den Preußen (Aisten).
Schon damals suchten die Polen fortgesetzt ihre Macht bis zur Ostsee auszudehnen,
was zu heftigen Kämpfen mit den Preußen führte, worin diese stets Sieger blieben.
Mag auch das Samland hierbei weniger Kriegsschauplatz gewesen sein, so stand es
im Mittelpunkt der Kampfhandlungen, wenn die Wickinger aus Schweden und Dänemark
auf ihren Drachenschiffen das Bernsteinland anliefen, und daß es diesen kühnen
Nordmännern wenigstens vorübergehen gelang, das Samland tributpflichtig zu machen,
geht aus den nordischen Königsgeschichten hervor, nach denen Knut von Dänemark
1014 bis 1035 das Samland beherrschte.
Auf diese waffenstarrenden, kampferprobten Preußen stießen die Ordensritter.
Schon 1253 erfolgte nach erfolglosem Angriff von der Haffküste aus ein großangelegter
Angriff über das gefrorene Haff auf das Samland von einer ansehnlichen Heerschar
unter Führung des Komturs von Christburg, Heinrich Stange. An der Adalbertstätte
vorbeiziehend kam das Artusheer bis in die Gegend des Dorfes Germau und in den
Bannkreis des heiligen Romowe. Hier stießen die Ritter auf ein Preußenheer und
wurden geschlagen, wobei der Komtur den Tod fand.
Dieser mißglückte Zug belehrte den Hochmeister, daß dieser Gau nur durch eine
außergewöhnliche Streitmacht bezwungen werden konnte. Zu dieser verhalf ihm der
Papst, indem er in verschiedenen Ländern den Kreuzzug gegen die Samländer predigen
ließ; schon 1254 hatte sich unter Ottokar von Böhmen ein Heer zusammen geballt, wie
es im Preußenlande noch nie gesehen worden war. Wieder ging es zur Winterszeit über
das gefrorene frische Haff. Die Krieger bedeckten das Haff wie Heuschrecken die Erde,
schreibt ein Chronist. Die nun folgende Eroberung des Samlandes war nur eine
Überrumpelung, zumal viele Häuptlinge Verrat übten und zum Orden freiwillig übertraten.
Der Ritterorden war Herr des Samlandes, und die neue Burg Königsberg war der Stützpunkt
seiner Macht. Wie unsicher aber diese war, zeigte der Aufstand, der im Herbst 1260
durch alle Gaue flog, und in dem die Samländer um ihr Alles fochten. Als nach
dreijährigem Kampfe die Gebiete Waldau, Quednau und Pobethen sich schon ergeben hatten,
dachten die Westsamländer nicht daran, die Waffen niederzulegen. Besonders genannt
wird das tapfere Männergeschlecht des Gebietes Bethen, das die Vorwacht zu Romowe hielt.
"Nach einer Chronik, die 1945
von Charlotte Kuhlemann beim
Einfall der Russen mit nach
Eckernförde gebracht wurde.
Höchstwahrscheinlich einziges
gerettetes Exemplar."
(Handschriftliche Notiz auf
der ersten von 16 Seiten
Schreibmaschinen-Faksimile.)
|
Alles, was nur einen Spieß tragen konnte, war aufgeboten. Deshalb wagte der Ordensmarschall
hier nicht allein den Kampf, sondern erbat und erhielt Verstärkung aus Livland. Die
Chronik schildert diesen Kampf als den blutigsten, der jemals auf ostpreußischer Erde
ausgefochten worden ist. Sechs Stunden bestanden die Ritter den Kampf gegen die
Preußenmacht, da traf das Livländische Heer ein, das über die Kurische Nehrung gezogen
war, und entschied den Sieg. Aber keiner der Preußen wollte in die Knechtschaft, sie
fielen bis auf den letzten Mann. Ihr ganzes Gebiet wurde verwüstet und niedergebrannt.
Um die letzte Spur dieses Geschlechtes auszutilgen, wurden sogar die Frauen und Kinder
in entfernte Gegenden gebracht. Samlands letzter freier Tag war dieser Kampftag. Wo
lag das Gebiet von Bethen? Viele Forscher meinen wo heute der Warnicker Forst, die
Görge, sich ausbreitet. Einen so fruchtbaren Boden überläßt man seit Urzeiten nicht
dem Walde, der ist nach der Verwüstung gewachsen. Übrigens ist die Görge reich an
vorgeschichtlichen Begräbnisstätten.
Nach diesem endgültigen Siege der Ritter sandte der Ordensmarschall von Königsberg eine
Komission durch das Samland, die allerorten genau untersuchte, wie sich die Bewohner im
Aufstande verhalten hatten. Wer auf Seite des Ordens gekämpft hatte, verblieb im Besitz
seines Grunstückes und erhielt darüber den Freibrief oder die Handfeste. Darin war die
Größe sines Besitzes angegeben und daß er frei war von "geburtlichen Pflichten" dagegen
aber zu allen Heerfahrten und Geschrägen mit Hengst und Harnisch nach des Landes Wohnheit
ziehen müsse. Seine Abgabe war gering. Dies waren die preußischen Freien, die sich später
zu den Kölmern rechneten. Wer aber seine Freiheit bis zuletzt mit der Waffe verteidigt
hatte, verfiel in die Klasse der politisch rechtlosen Bauern, die kein Besitzrecht und
keine Handfeste hatten. Sie verblieben zwar auf ihrem Grundstück, mußten aber bäuerlichen
Scharwerk verrichten, den Zehnten abliefern und als Fußvolk zu jeder Kriegsfahrt bereit
sein. Da dieses Los auch die Tenkitter betraf, wissen wir, daß sie sich allesamt als
Freiheitskämpfer beteiligt haben. Gleichsam taten es die Kalksteiner, Legehner und alle
Strandleute.
Die Freien saßen mehr im Binnenlande, besonders dicht im Medauschen und Pobethenschen.
Waren sie nun überzeugte Christen oder hellhörige Konjunkturritter, als sie die Sache
ihres Volkes im Stiche ließen? Wer will heute darüber richten?
Der Ritterorden hatte bei der Eroberung des Preußenlandes einen Teilhaber, das war der
Papst in Rom und mit ihm die katholische Kirche. Mit ihm hatte der umsichtige Hochmeister
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Ordensritter im Wappen von Fischhausen
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Hermann von Salza einen Vertrag geschlossen. Der Ritterorden brauchte stets Hilfstruppen,
und der Papst ließ in christlichen Landen den Kreuzzug predigen wider die heidnische
Finsternis im Preußenlande und verhieß den frommen Kreuzfahrern irdischen und himmlischen
Lohn. Da aber die Papstkirche kein Seelenheil ohne klingenden Lohn verabreicht, hatte der
Hochmeister sich verpflichten müssen, den dritten Teil des eroberten Landes der Papstkirche
zur Errichtung von Bistümern abzutreten. Die Eroberung des Samlandes war noch nicht
vollendet, als schon der Bischof Heinrich von Strittberg im Mai 1255 erschien, um seine
Herrschaft anzutreten. Nach langem Feilschen kam dann eine Einigung zustande, nach der mit
den Teilen von Quednau, Neuhausen, Powunden auch der westliche Teil des Samlandes, mit
Ausnahme des Gebietes Germau, in bischöflichen Besitz kam. Dazu gehörte auch der
Nehrungszipfel bis zum Lochstädter Tief, und mit ihm kamen Tenkitten, Kalkstein, Legehnen,
das Schicksal der drei Orte ist stets gemeinschaftlich geblieben, unter die Herrschaft
des Krummstabes.
Nach der Niederwerfung des Samlandes galt es aber für den Orden, seinen Besitz durch die
Anlage von Burgen zu sichern, und die Stelle am Lochstädter Tief schien ihm zur Anlage
einer solchen besonders geeignet. Er schloß daher im Juli 1264 einen Tauschvertrag mit
dem Bischof. Der übergab ihm den Nehrungszipfel, Witlandort genannt, gegen ein gleich
großes Stück, wo die Stadt Fischhausen später entstand, dazu noch drei Hufen mehr. So
kamen die drei genannten Ortschaften unter die Herrschaft des Ordens. Die damals
festgesetzte Landesgrenze ist noch heute die Grenze der Kirchspiele Lochstädt und
Fischhausen, nämlich zwischen Legehnen und Dargen. Dieser Vertrag ist auch die Ursache
der Zweiteilung des Kirchspiels Lochstädt, zu dem durch Dargen, Sanglienen getrennt,
noch Gaffken gehört. Jede Burg wurde der Mittelpunkt eines Verwaltungsbezirkes und der
Sitz eines landwirtschaftlichen Großbetriebes. Dazu war der Lochstädter Besitz mit den
paar Scharwerkdörfern Tenkitten, Kalkstein, Legehnen zu klein, und so mußte der Orden
jenseits des bischöflichen Besitzes, Dargen, Sanglienen, Litthausdorf, die nach Süden
ragende Spitze mit Gaffken, im Ganzen 54 Hufen, hinzunehmen. Was hier wirtschaftlich
zusammengelegt wurde, blieb auch kirchlich verwaltet ein Ganzes. Auf diesem Gebiet
entstand 1400 das kölmsche Dorf Damerau mit 30 Hufen. Osterau wurde später (nach 1773)
als Vorwerk von Gaffken erbaut.
Rücksichtslos, nur dem Ganzen dienend, führte der Orden sein Pläne durch. Hart am Tief
sollte zum Schutze der ein- und ausfahrenden Schiffe die Burg errichtet werden. Nun
wohnte aber daselbst der altpreußische Edle Laucstite. Der wurde aus seiner sicheren
Wohnung gesetzt und diese nach gehöriger Erweiterung durch Erdwälle und Pfahlwerk
befestigt. Auch hier übertrug sich der Name des Besitzers auf den Ort, den er, mundgerecht
gemacht, Lochstädt, bis auf den heutigen Tag führt.
Die Burg, die die Ritter damit geschaffen hatten, konnte den Samländischen Preußen keine
Achtung, noch Furcht einflößen. Wenn sie an den Winterabenden am Herdfeuer saßen, gingen
ihre Gedanken und Reden nur zu gerne zurück in die Zeit der Freiheit und des Wohlstandes,
und nicht selten wurde die Möglichkeit erwogen, das Haus zu überrennen und die unbequemen
Herren zu vertreiben.
Doch im Frühjahr 1275 wurde es anders. In Laucstite erschienen Zimmer- und Bauleute und
bauten unzählige Holzhütten. Andere erschienen mit Pergamentrollen und Meßgerät, besetzten
die größte und bequemste Hütte und nannten sie Bauhütte. Meßbänder wurden auf der Höhe
durch das Gelände gezogen und Merkpfähle eingeschlagen. Kähne landeten am Haffufer und
luden noch mehr Arbeitsleute mit Geschirr aus. Darob großes Staunen und Rätselraten in
den Preußendörfern. Doch nicht lange. Gar bald ritt der Voigt von Hof zu Hof und bestellte,
daß von morgen ab jeder Preuße mit Söhnen, Knechten, Gespann, Schleifen, Hacke, Spaten
auf der Burgstelle zu erscheinen habe. Dort war dann ein unzähliges Arbeitsvolk versammelt.
Hunderte gruben tiefer und tiefer in die Erde, als solle der ganze Haffberg ausgehöhlt
werden. Hunderte karrten die Erde beiseite; Hunderte stachen Lehm zu Ziegeln und traten
ihn mit Füßen, Hunderte buddelten Steine und schleiften sie zur Burgstätte. Unzählige
rodeten Bäume im Walde Wogrin und schleppten die Stämme zur Zimmerbude, Stubben, Äste
|
Spiegelt sich nicht mehr im Haff: Die kleine Schwester der Marienburg
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"Mit dem Bau des Schlosses Lochstädt am Ausgange
des damals noch bestehenden, aber schon 1311 ver-
sandeten Tiefs begann der Orden etwa im Jahre 1276
und benannte es nach dem samischen Besitzer dieses
Platzes Laucstiete. Ihm lag dasselbe Bauprogramm
wie der Marienburg zugrunde und nach Steinbrecht
müssen hier wie dort dieselben künstlerischen und
technischen Kräfte gewirkt haben. Ebenso wie die
Marienburg ursprünglich zur Komturei bestimmt, wurde
Lochstädt später von einem Pfleger verwaltet und war
bis bis zum Jahre 1581 Sitz des Bernsteinmeisters,
der in der Folgezeit nach Germau und dann nach Palm-
nicken übersiedelte. Hier hat der Hochmeister Heinrich
von Plauen als Gefangener seine letzten Lebenstage
zugebracht. Das Schloß, das namentlich im Dreißig-
jährigen Kriege durch die Schweden schwer gelitten
hatte, wurde in den Jahren 1701/02 gar von den
eigenen Besitzern angetastet, der Nord- und Ostflügel
niedergelegt und deren Steinmaterial zum Bau der
Festung Pillau verwandt."
Aus "Samland - Ein Führer für Wanderer"
Hartungsche Verlagsdruckerei, Königsberg 1926"
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und Reisig zu den Ziegelscheunen und Kalköfen, wo die Kalksteine, die zu Schiff von
Gotland kamen, gebrannt wurden. In der Tiefe der Baugruben begannen die Maurer die
Aufführung der Fundamente, so weit und so tief wurden sie gelegt, als gälte es, dem
Haffberge ein festes Felsgerüst als Rückgrat zu geben. Der heiße Kalkstein, mit dem das
Steingefüge vergossen wurde, hielt es fest für ewige Zeiten. Die Ziegel zu den Mauern
und Gewölben mußten so heiß verarbeitet werden, wie sie aus dem Brand kamen, das ist das
Geheimnis der Ordensleute. Höher und höher stiegen die Mauern. Neue Schiffsladungen trafen
ein und brachten langgespaltene Säulen aus rotem schwedischen Granit, Klötze grauen
Muschelkalks und geschieferte blaue Fliesen. Die kamen auf den Arbeitsplatz der
Steinmetze und wurden mit Meißeln und Pickhämmern zu Pfeilern, Bord- und Kragsteinen,
sowie zu anderem Bauzierart geformt. Auf dem Arbeitsplatz vor der Zimmerbude klappten die
Beile und knirschten die Sägen. Gewaltige Stapel von Vierkantholz und Brettern häuften
sich an, die Holzfäller mußten schon nach passenden Stämmen suchen, und da auch noch
Brennholz jetzt und in späteren Zeiten für Burg und Pfarrer benötigt wurde, verschwand
der Wald Wogrin, was zu späterer Versandung der Palwen führte. In das Heer der Arbeiter
war auch die Bevölkerung unserer drei Dörfer eingereiht. Ihre Wagen hatten tiefe Gleise
über die Palwen gefahren, und ihre Füße ließen die ausgetretenen Steige nicht begrünen.
Tag für Tag rief sie das harte Muß zur Arbeit. Mit dem ersten Hahnenschrei gingen sie
fort, und nach Sonnenuntergang kehrten sie heim, verzehrten ihr karges Abendbrot, saßen
müde da und ließen die Köpfe hängen. Ihre Wirtschaften mußten zurückstehen, und sie
kamen fast auf den Ruin. "Was baut ihr da?" wurden sie gefragt. "Kommt und seht selbst"
war die Antwort. "Was die Deutschen fertigbringen, geht über unser Denken. So hoch das
Mauerwerk in den Himmel steigt, so tief gehen die Keller in die Erde. Vergeßt nur jeden
Gedanken an die Freiheit, die ist für immer dort eingemauert." So scharwerkten sie am
Bau der Burg und mußten Felder und Viehwirtschaft vernachlässigen. Des Rathmanns Ältester
von Kalkstein wurde von einem Balken erschlagen, mancher brach Arm oder Bein, viele
holten sich dauerndes Siechtum, was aber blieb, tat die Fron weiter. Endlich wurde auch
dieser Bau fertig. Das Haupthaus mit seinen vier Flügeln und dem klotzigen Wartturm und
die daneben liegende Vorburg waren vollendet, die Burggräben ringsum steilufrig und tief
ausgehoben und die Zugbrücke darüber gespannt. Alle Wünsche des Hochmeisters waren von
dem genialen Werkmeister, dessen Name uns leider nicht überliefert ist, verwirklicht.
Nun stand die Burg da auf dem steilen Ufer und spiegelte sich in den Wassern von Haff
und Tief. Sie verkündete, hier weit nach Osten vorgeschoben, nicht allein deutsche Kraft,
sondern auch deutsche Kunst. Nicht allein hatte der Werkmeister ihre Anlage so geschaffen,
daß sie jedem kriegerischen Angriff jener Zeit Trotz bieten konnte, auch der Kunst- und
Schmuckfreude war vollkommen Genüge geschaffen worden: "Die Kapelle von Löchstädt ist ein
baukünstlerisches Juwel, sie ist überhaupt das bedeutendste uns überlieferte Kunstwerk
aus der Zeit der Landmeister. Der Remter ist eine unerreichbare Perle der Baukunst," so
urteilten Kunstkenner über das, was damals geschaffen wurde.
In derselben Zeit, da Lochstädt entstand, baute der Bischof in seiner Residenz Schonewik
sein Schloß und die Kirche daselbst und gab der entstehenden Residenzstadt den Namen
Bischofshusen, der später in Fischhausen umgewandelt wurde.
Welch einen gewaltigen Eindruck müssen diese erhabenen Bauten, die so hoch über die
bescheidenen Hütten der Altpreußen ringsum hinausragten, auf diese gemacht haben. Sie
kamen gefühlsmäßig zu der Erkenntnis, daß die Deutschen ihnen in ihrem Denken und
Können ebenso hoch überlegen seien, wie ihre Bauten. Fast könnte man behaupten, daß der
Orden die Altpreußen durch seine Bauten sicherer bekehrte als durch das Schwertbund,
die Predigt.
Ebenso wird auch die neue Wirtschaft und Verwaltung die ostpreußische Bevölkerung
beeindruckt haben. Die neuerbaute Burg war der Mittelpunkt eines Verwaltungsbezirkes,
des Amtes Lochstädt. Er umfaßt ein Stück der Frischen Nehrung etwa von der Stelle ab,
die Balga gegenüberliegt, und reichte bis zur Grenze Fischhausen, Dargen, Sanglienen.
Dazu war noch das Gebiet von Gaffken mit 54 Hufen zugeschlagen, weil Witlandort
wirtschaftlich zu beschränkt war. Die zum Amt Lochstädt gehörigen Ortschaften waren
Wogram, es lag zwischen Neuhäuser und und Pillau, Tenkitten und Kalkstein; Legehnen
und Gaffken als Vorwerk. Der Gebieter des Amtes war der Ritter, den Titel Pfleger
führend. Um aus dem eroberten Lande Gewinn zu haben, errichtete der Orden neben der Burg
einen landwirtschaftlichen Großbetrieb. Zu dem Zweck war die Vorburg als Gutshof erbaut.
Hier wohnte der Kämmerer und das unverheiratete Gesinde. Außerhalb der Burg standen
Häuschen einiger Arbeiterfamilien, die Gärtner genannt wurden. Da die einige Morgen
Land, die sie neben einem Garten erhielten, zum Unterschied von anderen Feldern auch
Gärten genannt wurden. Sie waren Bauern in kleinster Fassung, sie erhielten Tagelohn und
im Winter den zwölften Scheffel als Dreschermaß.
Zur Herrichtung der Felder und Wiesen mußte die Bauernschaft des Amtes noch viele
Monate schwere Frondienste tun, besonders die Urbarmachung der Niederungen am Haff und
am Fließ bei Gaffken erforderte manchen Schweißtropfen. Da mußte das Weiden- und
Ellerngestrüpp gerodet werden, Gräben zur Entwässerung angelegt werden, der kupstige
Boden geebnet werden, wahrlich, viel Arbeit und Mühe kostete es noch bis zur Benutzung.
Nachdem auch diese Arbeit vollendet war, kam die Bauernschaft des Amtes nun auch endlich
zur Ruhe. Die Ordensherrschaft wußte wohl, daß ein gesunder, leistungsfähiger Bauernstand
die sicherste Grundlage des Staates sei, den er hier im Preußenlande aufbauen wollte. Die
Pfleger mußten auf Geheiß ihrer Gebieter auf die Schonung der Bauern bedacht sein. Das
Bauernland der Altpreußen war nach Hoken oder Haken gemessen, das waren 2/3 Hufen oder
40 kulmisch Morgen. Jeder Bauer im Amt saß auf zwei Haken. Sie waren wohl nicht sein
Eigentum, es waren doch Scharwerksdörfer, sonder der Bauer war nur der Nutznießer des
Grundstückes, hatte aber das Recht, sofern er seinen Verpflichtungen nachkam, es an seine
Kinder zu vererben.
Als Abgaben forderte die Herrschaft von ihnen den Zehnten, den uralten Bauernzins in
Naturalien. Er betrug vom Haken 3 3/4 Scheffel Gerste und 3 1/4 Scheffel Hafer und ein
Huhn. Auch die Dienstleistungen hatten feste Formen angenommen, in welchem Umfange sie
waren, ist keine Nachricht vorhanden, wir wissen jedoch, daß die wenigen Bauern dieses
Amtes schwerer durch die Fron belastet waren als die in den Ämtern, wo eine zahlreiche
Bauernschaft ansässig war. Besonders drückte die Teilnahme an allen Kriegsfahrten des
Ordens als Fußvolk, und fast die ganze Zeit des Ordens ist mit Kämpfen ausgefüllt.
Die Zeit schritt vor, die verbitterten Alten sanken ins Grab, und das heranwachsende
Geschlecht sah das Leben ohne Haß und Vorurteil an. Es sah das aufblühende Leben in der
na-hen Bischofstadt, besuchte gern den Markt und beteiligte sich an den vielen kirchlichen
Festen, an Kirchweih und Prozession. Es sah die ordnungsgemäße Bestellung und Verwaltung
der Amtsländereien und nahm Anreiz zur besseren Wahrnehmung der eigenen Ackerwirtschaft.
Und überall waren es die Deutschen, die das Leben neu und angenehm gestalteten, überall
hörte man die deutsche Sprache. Da wandte sich das Denken und Sinnen der Altpreußen immer
dem Deutschtum zu. Mit dem Ordensstaate blühte auch das Bauerntum auf, es hatte seine
goldene Zeit unter Heinrich von Kniprode. Längst schon gingen die Ernteerträge über die
Deckung des eigenen Bedarfes und des Zehnten hinaus, es konnte noch auf den Markt gebracht
und abgesetzt werden. Mit dem Niedergang des Ordens kam auch eine böse Zeit für die Bauern.
Bald Scharen von Polenkriegern, bald Scharen der Danziger und Elbinger und der polnischen
Söldner fielen über das Samland her und plünderten oftmals Fischhausen und die Dörfer des
Amtes Lochstädt. Ein solcher Tag war für die Feier des Weihnachtsfestes am 28. September
1463. Dazu waren der Hochmeister, der Bischof von Samland und sieben Komturen von Livland
erschienen, um an der Kirchweih und Prozession teilzunehmen, und viel Volks war an der
Adalbertskirche versammelt. Da überfiel eine Abteilung feindlicher Polen, die hier reiche
Beute witterten, die Stätte der Andacht. Den Herren gelang es zwar, auf des Bischofs
Pferden sich durchzuschlagen und in die bischöfliche Burg Fischhausen zu flüchten, aber
viele wurden erschlagen oder als Gefangene mitgeschleppt.
Der Krieg mit Polen nahm und nahm kein Ende. Viele Städte und Adelsherren traten zu den
Polen über und übten an der deutschen Sache Verrat. Samland blieb dem Orden treu, hatte
dafür aber unter den Einfällen jener zu leiden. Der zweite Thorner Friede 1466 machte
diesem Kriegselend ein Ende, brachte aber das Preußenland unter polnische Herrschaft,
auch als Hochmeister Albrecht von Brandenburg 1525 den Ordensstaat auflöste und ihn zum
Herzogtum machte, blieb die polnische Oberhoheit. Zu den schweren Schädigungen an Leib
und Gut traten in dieser trüben Zeit die immer mehr zunehmenden Entrechtungen des
Bauernstandes. Zur Ordenszeit hatten die unterworfenen preußischen Bauern wohl keine
politischen Rechte, sie hatten aber die Freiheit ihrer Person, sie konnten den Hof
aufgeben und auf einen anderen ziehen. Später wurde für jeden Umzug ein Vierdung als
Steuer erhoben. Eine weitere Beschränkung der Freizügigkeit brachte die Verordnung, daß
er nur gegen Stellung eines Ersatzmannes den Hof verlassen durfte. Der vorhin genannte
Polenkrieg brachte das ganze wirtschaftliche Leben durcheinander. Der Mangel an ländlichen
Arbeitskräften vergrößerte sich von Jahr zu Jahr. Dem Bauern und seinen Kindern wurde der
Zuzug in die Städte verboten. Auch wenn er auf dem Lande umzog, mußte er einen Umzugschein
besitzen, zum Beweise daß er sich von seinem früheren Herrn mit Recht und Freundschaft
getrennt habe. Durch die gänzliche Verarmung war der Hunger täglicher Gast im Bauernhause.
Was Wunder, wenn er nachts mit Weib und Kind vom Erbe lief, es lag dann "wüst", es war
"Wer seinen Hof verläßt,
verliert seinen Besitz."
Hitlers Gauleiter Erich Koch
1945, während er für seine
eigene Flucht zwei Eis-
brecher unter Dampf hielt.
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unbesetzt. Jetzt richten sich die Verordnungen gegen das Entlaufen von Bauern. 1467 wurde
vom Landtage in Elbing beschlossen, daß die Landesherrschaft und Privatherren, unter denen
Bauern säßen, sich ihrer entlaufenen Bauern, wo und bei wem sie ihrer habhaft werden
könnten, bemächtigen und sie ohne Widerrede und Berufung auf ihr früheres Erbe setzen
sollen. Solche Verordnungen wurden auf den Tagfahrten der Stände beschlossen. Es hatten
aber die Adelsherren als Vertreter des Großgrundbesitzes die Stimmenmehrheit in dieser
gesetzgebenden Körperschaft, und als es diesen unter Herzog Albrecht gelang, sich der
fürstlichen Gewalt ganz zu entziehen und diese bei Seite zu schieben wurden die Freiheiten
der Bauern ganz aufgehoben. In der Landesverordnung von 1577 wird die Leibeigenschaft
endlich gesetzlich festgelegt. Damit war der Bauer mit seiner Familie zum Inventarstück
geworden. In den Kaufverträgen von 1600 und 1700 durch findet man in den Kaufverträgen
adeliger Güter den Besitz der verkauften Liegenschaften registriert und darunter die
"Untertanen" des Gutes mit Frau und Kind bis auf den Säugling in der Wiege. 1676 verkaufte
vor dem Richter in Neidenburg ein Hans-Georg von Wegier, Erbherr auf Groß-Schläfken, den
Untertan Gregor Parchwenowitz mit Weib und drei Kindern dem Erbhauptmann Fink von Finkenstein
für 15 Reichstaler und einen Scheffel Erbsen.
Die drei genannten Dörfer waren Scharwerksdörfer und mußten Scharwerk leisten. Diese aus
dem Mittelalter stammende Wort ist verschieden gedeutet worden. Einige leiten es von
Pflugschar, Eisen ab, und so bedeutet das Wort Scharwerk soviel wie Ackerarbeit, leitet man
es aber von Schar, Wenge ab, so bedeutet es eine Arbeit in großer Gemeinschaft. Sie war aber
keine freiwillige, vielmehr stand Zwang dahinter, dem sich keiner entziehen konnte. So war
denn Scharwerk zu jener Zeit gleichbedeutend mit Zwangs- oder Frondienst, dessen Verweigerung
Strafe nach sich zog, wie folgender Vorfall zeigt: 1522 war Bartholomäus Gerwin aus Tenkitten
entlaufen, wurde aber ergriffen und hat sich vertragen, d.h. sich mit der auferlegten Strafe
zufrieden gegeben und versprochen, weiter zu scharwerken. Er war zur Zahlung von 10 Mark
verurteilt, fünf sollten von Himmelfahrt bis Weihnachten und der Rest im folgenden Jahre
entrichtet werden. Für diese Geldsumme kaufte man damals einen Ochsen. Der Bestrafte war
entweder ein Witwer oder ein Bauernsohn, denn in der Fortsetzung des Urteils heißt es
"und soll ein Weib nehmen zwischen Himmelfahrt und sich eine Wohnung schaffen bis Weihnachten".
Zur Sicherung ließ sich der Amtmann drei Bürgen stellen, nämlich Hans Gerande aus Kalkstein
bürgte mit einer Last (60 Scheffel) Gerste für das Zustandekommen der Hochzeit, Hans von
Damerau übernahm mit derselben Getreidemenge die Bürgschaft für das Geld, und Peter Strande
bürgte ebenso für beides, Weib und Geld. Dieser Fall zeigt zugleich, welchen Wert die damalige
Herrschaft auf die Arbeitskraft eines einzelnen Bauern legte. Was alles der Bauer im Amte
schaffen mußte als Scharwerksarbeit, berichtet die Amtsrechnung von Lochstädt aus dem Jahre
1600: "Sie fahren den Mist ausm Hofe Lochsteten und vor die Ställe, dazu gibt man ihnen
Essen und Trinken, des Mittags- und Vesperzeit einem itzlichen ein paar Brot und Gnappkäse
(Zwergkäse). Und wenn sie den Mist ausgefahren, so gibt man ihnen eine Tonne Eier. Sie
müssen auch dem Strandknecht auf der Nehrung das Gras abhauen, davor gibt man ihnen eine
halbe Tonne Tafelbier (zweites Gebräu, Schemper), ein Schock Brot und einhalb Schock
Gnappkäse. Sie müssen auch den Schafen die Wolle abnehmen, einen Schilling und von der Schere
vier Pfennige; dem Ratmann zwei Schilling, das er die Wolle wegträgt. Sie sind auch schuldig,
die Zäune um den Hof Lochstädt zu machen, auch wenn man baut, an den Scheunen und
Hirtenhäusern dem Zimmermann zu helfen, auch die Wände zu kleiben (mit Lehm bekleiden).
Jeder muß zwölf Teile pflügen, als 2 Teile zu Roggen, 2 Teile zu Gerste, 2 Teile zu Hafer,
2 Teile stürzen, 2 Teile hacken, 2 Teile zur Brache. Jedoch muß man die die Gelegenheit
und das Vermögen der Leute ansehen. Sie sind auch schuldig, jeder drei Fuder Holz zu fahren,
auch zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten; auch alles Getreydig, das man nicht dreschen hat,
um den zehnten Scheffel zu dreschen. Sie sind auch schuldig, da man nicht Fischer hat, zu
helfen zu allerlei Fischerey um die Mandel; sind auch schuldig, die sieben Wiesen zu
Gaudken (Gaffken) zu gewinnen (hauen und hausten) am Fließ, die an der Gärtnerwiesen liegen.
Noch sind sie schuldig, Roggen, Gerste, Haber und Hoppen zu hauen und zu binden."
Das ist eine reichhaltige Arbeitsfolge der drei preußischen Dörfer, von denen eine spätere
Rechnung kurz bemerkt: "Seindt gemeine Scharwerks-Leute; müssen sonst alles tun, was ihnen
vom Amt befohlen wird."
In dem südlichen Zipfel hatten sich jetzt auch im Laufe der Zeit in Witlandsort Dörfer
gebildet. Am neuen Tief entstanden Groß- und Klein-Pillau. Von ihnen heißt es 1599:
"Seindt Fischerdörfer, die Einwohner seindt ungewiß, lauitzliche weg kommen itzliche
wieder." Und: "Sind im ganzen 41 Personen, darunter die beiden Krüger Ambrosius und Georg
und der Schulze Steffen Riebensinn." Wogram hatte 12 Hufen, Camstigall 19 Hufen, dort
ebenfalls einen Krüger. In Lochstädt wohnte auch ein Krüger, er hatte 12 Morgen Acker und
Wiesen. Alle Krüger waren scharwerksfrei. Die Bewohner dieser letztgenannten Ortschaften
waren zugewanderte Deutsche, denen man in ihren Handfesten das kölmsche Recht verliehen
hatte. Sie waren frei und konnten ziehen, wohin sie wollten. Sie hatten nur zehn
Scharwerkstage jährlich abzuleisten laut Handfeste, und dabei mußte es bleiben.
Übler waren die drei preußischen Dörfer dran. Ihre Rechte waren durch keine Verschreibung
gesichert, sie waren der Willkür ihrer Oberherren ausgeliefert. Schien es dem Amtmann
gelegen, daß die eine oder andere Arbeit auch noch zum Scharwerk geschlagen werden sollte,
so besprach er sich mit den Visitatoren, die von der Ratskammer in Königsberg ausgeschickt
wurden, um die Ämter zu bereisen, ihre Anordnung war für den Bauer Gesetz. Als in Löchstädt
die vier Karbenknechte, ursprünglich Schirrarbeiter im Waffenhaus, in die Reihe der
Landarbeiter übergingen und ihr Depztat festgesetzt wurde, hieß es: "Die Visitatoren haben
euch verordnet .. die Preußen fahren ihnen Holz zu brennen." Unter den Preußen waren eben
die Einwohner von Tenkitten, Kalkstein und Legehnen gemeint. Das Scharwerk wurde durch den
Amtsboten den Schulzen und dem Ratmann angesagt, der die Bestellung an die Nachbarn
weitergab. Dem Ratmann in Tenkitten unterstanden auch die beiden anderen Dörfer. Er war
für pünktliches Erscheinen der Arbeiter verantwortlich und führte beim Scharwerk die
Aufsicht. Dafür war er selbst scharwerksfrei.
Ist nun diese Scharwerksarbeit eine unerträgliche Fron, eine Sklavenarbeit gewesen? Es
ist wohl nicht anzunehmen. Auch die Herrschaften des Ordens und der späteren Herzöge
wußte, daß von einem überarbeiteten und verbitterten Arbeiter kein gedeihliches Tun zu
erwarten war, und sie war bemüht, dem Bauer diese Arbeit schmackhaft zu machen. Daß ein
Bauer mit dem bloßen Muß schwer zu gewinnen ist, war schon damals bekannt. Das Wort:
"Een Buer und e Oß und e strupp'ger Bessem, dat sönd dree Beester", stammt wohl aus jener
Zeit. Bei der Gemeinschaftsarbeit sorgten wohl muntere Zurufe, Neckereien und gar
Bierspenden für die nötige Stimmung. Erschien der Amtmann zum ersten Male beim Kornhauen
auf dem Felde, so umringten ihn die Binderinnen und er wurde gebunden oder gerammelt.
Eine der Binderinnen trat herzu, band einige Halme um seinen Oberarm und sagte einen
alten Spruch auf, währen d die Hauer dabeistanden und ihre Sensen schreiend dazu strichen.
Der Gebundene mußte sich nun freikaufen. Der Kämmerer durfte dann einen Mann zur Brauerei
nach Bier schicken. Nun war in Kalkstein der starke Strauß. Der wurde auch einmal nach
Bier geschickt. "Wieväl sall ök denn bringe, gnäd'ger Herr?" fragte er. "Kerl, bring er,
soviel er tragen kann." Strauß ging, doch als er wiederkam, machte der Amtmann große
Augen, unter jedem Arm trug Strauß eine Tonne Bier. "Ist der Kerl denn garnicht gescheit?",
fauchte der Amtmann, mußte aber dann doch lachen und hat den starken Strauß zu seinem
Kutscher gemacht, mit dem er bei Tag und bei Nacht durch die Kaporner Heide fahren konnte.
Wäre damals die Arbeit so ganz unerträglich gewesen, so hätten sie nicht die sinnigen
Gebräuche bei Aussaat und Ernte und Dreschen, so viele Lieder und lustige Schnurren als
Kennzeichen bäuerlichen Volkstums herausbilden und erhalten können. War der Amtmann
unbeliebt oder unerträglich, so ging die Arbeit eben nicht oder man schickte ihm Kinder
zur Scharwerk. Die Zahl war da, aber es konnte nichts Gescheites angefangen werden.
Schon Leo v. Waiblingen, der 1255 das Amt innehatte, bestimmte: "Und welcher nicht zur
rechten Zeit kommt in die Scharwerk und welcher schicket ein Kind, soll verfallen sein
der Herrschaft eine Tonne Bier und den Nachpauren ein Achtel."
Aus der freien Preußenzeit war auch der Talk übernommen worden, das ist die freiwillige
Gemeinschaftsarbeit, wie sie beim Bauern und Bessern und bei der Roggenernte Sitte war
und sich in manchen Gegenden beim Flachsbrechen und Federreißen bis zum heutigen Tage
erhalten hat. Auch dem Amt haben die Dorfbewohner Talkarbeit geleistet. Als 1605 der
abgebrannte Schafstall wieder aufgebaut wurde, erhielt das "Talk-Volk" bei der "Aufböhrung"
(Richtfest) des Gebäudes ein Faß Bier. Eineinhalb Scheffel Erbsen sind "uffs Talk-Volk im
Augst (Ernte) vertan;" ein andermal sind 16 Schock 36 Käse im Augst für das Talkvolk
ausgegeben. Es scheint sogar, daß selbst die Dienstpflichtigen über das Scharwerk hinaus
gearbeitet haben. 84 Stof Bier erhielt das Talkvolk, "so die Gerste eingeführet." Die 24
Bauern in Jahre 1599 |
Tenkitten | Kalkstein |
- Martin
- Georg Schuster
- Kilian Ratmacher
- Nickel Behme
- Jacob Gailkart
- Gregor
- Caspar
- Walter Behme
- Jacob Rotbart
- Simon Behme
- Nickel Behme
- Arndt Mixin
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- Georg Naudit
- Paul
- Heinrich
-
David Jamann
- Michael Preußell
- Jacob Littau
- Urban Kayser
|
|
Haken oder 16 Hufen Bodenfläche, die das Dorf Tenkitten damals besaß, teilten sich 12
Bauern zu gleichen Teilen, in Kalkstein saßen sieben Bauern auf 14 Haken. Die Abgrenzung
einer bäuerlichen Ackernahrung auf zwei Haken oder 80 Morgen stammt noch aus der Ordenszeit.
Die Namen jener Bauern sind uns erhalten. Für 1599 sind
verzeichnet: - siehe Tabelle links.
Obwohl die eingesessenen altpreußischen Namens sind, führen diese fast durchweg deutsche
Namen. Es sind zwei Kataster samländischer Dörfer von 1409 und 1425 erhalten. Im ersten stehen
die Bauern mit ihrem altpreußischen, im anderen mit ihrem deutschen Namen aufgeführt. Daraus
ist zu entnehmen, daß in der Zwischenzeit die Umbenennung erfolgt ist. Solches geschah sicher
auf Anordnung der Behörde. Vielleicht kamen ihnen auch diesbezüglich die Altpreußen entgegen,
sich dem deutschen Wesen mehr und mehr anzupassen. Da das Amt Lochstädt in beiden Urkunden
nicht verzeichnet ist, sind uns die altpreußischen Namen der Wirte nicht erhalten.
Die kurfürstliche Kasse unter der Regierung Georg Wilhelms litt unter dauerndem Geldmangel.
Da Staatsanleihen damals noch nicht üblich waren, borgte man sich Kapitalien von Privatleuten,
denen man, je nach der Summe, Grundstücke, Dörfer oder ganze Amtsbezirke als Pfand überließ.
1613 lesen wir: "Vorwerk Lochstädt ist dem Mohrenberger nebenst dem Haus (Burg) und Unterthanen
uff 6 Jahre pfandweis eingeräumet und endet sich die Pfandverschreibung des nechstabgeschlichenen
Anno 1618 Jahr den 18.Juny." Damit kamen die Tenkitter unter die Herrschaft des Gutsherrn von
Kallen, dem sie den Treueid schwören und gehorsamen mußten, als wär er ihr Landesherr. Erst
der Große Kurfürst löste 1658 die Summe ein und und brachte die Tenkitter wieder unter die
direkte Landesherrschaft. Diese Zwischenzeit, des "Morenbergers Zeit", wie die Amtsrechnung
sie nennt, scheint den Insassen der Dörfer schlecht bekommen zu sein. Der Gutsherr scheint
so viel wie möglich als Zinsen für sein verliehenes Kapital aus sie haben herausschlagen
wollen. Die verlassenen Höfe mehrten sich, so daß, wohl durch die kurfürstliche Kammer, in
Tenkitten die Zahl der Bauernhöfe auf acht, in Kalkstein auf fünf, auf vier in Legehnen
festgesetzt und das Besitztum eines jeden von eins auf eineinhalb Hufen erhöht wurde.
Zum ersten Male erscheint 1658 in den amtlichen Urkunden die neue Schreibweise des Dorfes
Tenkitten und zwar so, daß von der Rentkammer in Königsberg zu der bisherigen Schreibweise
Enkiten mit anderer Tinte ein "T" vorgesetzt wurde, so daß der Name so: TEnkiten entstand.
In Lochstädt und Tenkitten waren Galgen errichtet; wann dies geschehen ist, ist aus den Akten
nicht ersichtlich. Noch heute führt in Tenkitten einer der Berge den Namen Galgenberg.
Besonders streng wurde das eigenmächtige Lesen und Verwerten des Bernsteins bestraft. Hier
hatte ein stiller, aber zäher Kampf der Strandbevölkerung gegen die Herrschaft eingesetzt,
denn diese Altpreußen waren von je her der Ansicht, daß alles, was die wilde See auswirft,
der Hand gehört, die es aufliest. Schon die Ritter aber wachten über den Bernstein, und
ihre Hand war eisern. Da saß in der Veste Lochstädt der Bernsteinmeister, der Herrscher
des gesamten Strandes von Danzig bis Memel. Ihm unterstanden die Strandreuter, die ihren
Beritt ständig unter Augen hielten. Zum Schöpfen waren die Strandbauern "geordnet". Die
wohnten in Saltnicken und Rothenen. Ersteres Dorf hat eine Verschreibung von 1377. Es erhält
seine 12 Hoken Land, "daß sie des Strandes und des Börnsteines desto bas getreulich und
fleißig zusehen und warten". Die Bewohner dieser Dörfer waren vom Ackerscharwerk frei. In
späteren Zeiten wurden noch in Rothenen drei und in Neuhäuser zwei "Börnsteinschöpper" auf
Eigenkäthnergrundstücken angesetzt. Wenn die Dienste dieser genannten Dörfer aufgeführt
sind, stets das Schöpfen wird dann genannt, niemals aber wird dieses von den Eingesessenen
Tenkittens gesagt, so daß wir annehmen können, daß diese zu dem Stranddienst nicht
herangezogen worden sind. Nun zeigt wohl die Bierrechnung des Amtes Lochstädt 1606 folgende
Eintragung: "Den Preußen (das sind die Bauern der Dörfer Tenkitten, Kalkstein und Legehnen)
auf Befehlig des Herrn Obermarschaff Wolff von Wernsdorff, daß sie vor Ihre Churfl. Gnaden
Börnstein geschöpfet, 1 Tonne Bier." Dieses ist wohl ein besonderer Dienst gewesen, und es
ist anzunehmen, daß die Bewohner dieser Dörfer und bei außergewöhnlichen, reichen Schöpfungen
zugezogen und für ihre Arbeit besonders entlohnt wurde.
Als sich herausstellte, daß die Strandreuter allein den Strand nicht wirksam genug
überwachen konnten, wurden ihnen die Strandknechte oder Kammerknechte beigeordnet. Im Jahre
1667 wurde eine solche Beamtenstelle auch in Tenkitten eingerichtet, in dem der erste
Kammerknecht Erdmann Neumann auf einem wüsten Bauernerbe angesetzt wurde. Diese Strandbeamten
müssen die bestgehaßten Menschen in der Bevölkerung gewesen sein. Sie hatten von Zeit zu
Zeit Haussuchungen bei den Bauern nach Bernstein abzuhalten, mußten deren Fuhren nach der
Stadt eine Strecke begleiten, daß ihnen unterwegs nicht doch ein Stein zugesteckt würde.
Strandreiter und Strandknechte durften sich nicht von den Bauern zu Hochzeiten und Kindtaufen
laden lassen, "was dem Unterschlauch könnte Vorschub leisten." Endlos ist die Reihe der
Bernsteinverordnungen und hart sind die Strafen, die verhängt wurden. Bei schweren Verfehlungen
stand sogar der Galgen darauf. Erst Friedrich der Große ließ sämtliche Galgen abbrechen. Die
Bernsteinvergehen hörten aber nicht auf. Sachverständige haben die Behauptung aufgestellt, daß
dem Staate durch Diebstähle die Hälfte des Bernsteinertrages verloren ging. Da entschloß sich
die Regierung, den Strand an "Generalpächter" abzugeben. Der letzte derselben war der Kaufmann
Douglas, der den Strand von 1811 bis 1837 innehatte. Doch auch durch diese Regelung hörten
die Mißhelligkeiten am Strande nicht auf. Die Aufseher des Douglas, Officianten genannt,
besaßen keine Polizeigewalt und, und so kam es, besonders bei nächtlichen Schöpfungen, zu
schweren Gewalttaten, wobei ein Aufseher sogar erschlagen wurde. Da entschloß sich die
Regierung, den Strand an die angrenzenden Gemeinden zu verpachten. So pachteten die Tenkitter
ihren Bernsteinstrand am 1.6.1837 zunächst auf zwölf Jahre. Die jährliche Pacht betrug 400
Taler und mußte im Voruas gezahlt werden. Die Bauern waren arm und mußten das Geld zu 6%
von den Juden Hirschberg und Schönlanke aus Königsberg aufnehmen, wofür sie ihre Grundstücke
Diesen und die nächsten 5 Textabschnitte habe ich
in 10.000 Meter Höhe bei einem Flug nach New York
am 27.Juni 2002 in meinen Klappcomputer (Laptop)
eingetippt. Die restlichen Abschnitte habe ich dann
dort bei über 35 Grad abgeschrieben.
Am Ende dieses Abschnittes wird auch der Name
"Liedtke" erwähnt. Das ist der Mädchenname meiner
Mutter. Elisabeth und Kurt Liedtke aus Königsberg
hatten zwei Kinder, Robert und Charlotte. Robert fiel
am Anfang des Rußlandfeldzuges. Mein Vater kam
als Soldat im Krieg nach Ostpreußen und befehligte
an der Samländischen Küste eine Küstenbatterie.
Meine Mutter floh mit Eltern und ihren Kindern Robert
und Kristine, beide in Tenkitten geboren, 16 und ein
Monate alt, Ende Januar 1945 von Pillau über die
Ostsee. Meine frühesten Erinnerungen reichen nicht
bis Tenkitten zurück, sie setzen etliche Seemeilen
hinter Pillau ein, auf dem Vorderdeck des Schiffes
"Bolkoburg", das uns nach Eckernförde brachte.
|
verpfändeten. Es war also ein gewagtes Unternehmen. Doch die See hatte ein Einsehen und
spendete reichlich, daß die Schuld in 6 Jahren abgetragen war. Manche Jahre hatten besonders
reiche Anschwemmungen, so daß allmählich der Wohlstand in die Stranddörfer einzog. Allmählich
aber hörte der Bernsteinsegen auf, besonders dann, als von der Großfirma Stantin und Becker
(Juden) in Palmnicken durch Taucher der Bernstein vom Meeresgrunde aufgelesen wurde, was
konnte da noch von größeren Stücken an den Strand kommen und die jährliche Pacht betrug immer
noch 400 Taler. Da kündigten die Tenkitter Bauern der Regierung den Strand, auch als die
Pacht auf 300 und 100 Taler ermäßigt wurde,sie wollten ihn unentgeltlich haben. Da übergab
die Regierung die Bernsteinpacht der Firmma Stantin und Beckern, die den Juden Gottschalksohn
als Verwalter einsetzten. Welchen Erlös der Bernstein in den Jahren erbracht hat, davon
erhielten die Tenkitter Wirte keine Kunde. Einmal aber geriet das Schöpfbuch des Juden
Gottschalksohn, das von der Regierung versehentlich an die Gemeinde Tenkitten zurückgesandt
wurde, in die Hände des Gemeindevorstehers Klehn, und dieser ersah daraus, welche erheblichen
Mengen Bernstein in den letzten Jahren geschöpft waren. Da die Pacht der Firma abgelaufen war,
beteiligte er sich bei der Neuverpachtung und bot 100 Mark, Becker bot gleich 400 Mark. Durch
einen Prozess und durch Verhandlungen im Landtage war aber der Jude Becker so bloßgestellt,
daß ihm die Regierung den Pachtzuschlag nicht mehr erteilen konnte, er hatte durch Überbieten
den Strand von Palmnicken bis Pillau an sich gebracht, und so fiel die Pacht an den
Bürgermeister Klehn 1897, der dieselbe seinem Sohn Gustav Klehn, dem jetzigen Bürgermeister
übertrug.
Die kriegerische Zeit des Großen Kurfürsten und die darauffolgende Zeit des prachtliebenden
ersten Königs verlangten von dem Lande das Letzte herauszugeben. Der Druck verstärkte sich
naturgemäß nach unten und ruhte zuletzt auf den Bauern. Die Amtswalter und ihre behördlichen
Schützlinge gingen von der Annahme aus, daß die Bauern ja nur zur Arbeit da wären, und alles,
was im Amte zu tun sei, wäre allein für ihre Sache. Kommt der Büttel in die Dörfer um die
Bauern zu "verbotten", d.h. sie zur Arbeit zu bestellen, so müsse er von ihnnen auch gelohnt
werden, daher seit 1658 das Bottelgeld. Ebenso sei es ihre Pflicht, den Kämmerer zu
unterhalten, der ihnen die Arbeit anwies, auch das Gesinde zu lohnen. Seit 1665 zahlt denn
auch jeder Wirt zwei Mark "Kemmererlohn" und eine Mark Gesindelohn und liefert noch "ein
Viertel Kemmer-Korn zum Deputat". Hierzu kam noch die "Contribution", eine Abgabe zur
Unterhaltung des Kriegsvolkes. 1659 lagen die Soldaten des Hauptmannes von Insterburg im
Schloß. Daß sie "heimlicherweise" in die Speisekammer und Keller einbrachen, daß sie nachts
den Obstgarten plünderten, daß sie acht Gänse und elf Hühner stahlen, hat der Amtsschreiber
richtig auf das Ausgabenkonto gesetzt, was aber in den Dörfern auf den Bauernhöfen von den
Soldaten "organisiert" worden ist, davon melden die Akten nichts. Es wird ja wohl zuletzt
überhaupt da nichts mehr zu holen gewesen sein. Die Bauern waren wieder arm und ausgezogen,
das zeigen uns die Schuldregister mit erschütternder Deutlichkeit. Wir lesen aus dem Jahre
1663 von Tenkitten und Kalkstein an Geldschuld einen Marten Behm mit 111 Mark, Ewald Klein
43 Mark "als Amtsuntertanen laut ihrem bei sich führenden "Kerbstocken", Kerten Lidke neun
Scheffel Roggen-Schuld "zu Brot und Saat geliehen". Dann Hans Moritz 55 Scheffel
Gerste-Schulden, Marten Liedtke 60 Scheffel Gerst-Schulden "unterlassener Zins und zur Saat",
dazu kommen noch Haberschulden bis 19 2/4 Scheffel. Diese Namen sind nur Auszüge aus vielen,
die im Schuldregister verzeichnet sind.
Was sollte die Behörde tun, sie befand sich in einer Zwangslage. Ein Abtragen der Schuld war
den Bauern nicht möglich. Mit wem sollte sie die leeren (wüsten) Höfe besetzen, wenn sie die
Bauern ihrer Schulden wegen verjagte. Die Kammer drang immer wieder darauf, daß die wüsten
Erben auch wieder besetzt würden, und von denen waren ja noch genug da. Da in den folgenden
Jahren keine Schuldregister mehr geführt werden, ist anzunehmen, daß die Rentkammer nach
einer genauen Prüfung der Sachlage die gesamte Schuldenlast niedergeschlagen hat.
Und noch etwas anderes haben uns die Schuldregister erhalten, die Namen der damals ansässigen
Familien. Die Bauernfamilien sind seßhaft vor 1700: Böhm ist in Tenkitten über 100 Jahre
nachweisbar, Baumgart, Klein (für Klehn), Clement, Naudit, Elert, Gerwien, Fischer sind gewiß
die Vorfahren der heute noch in dieser Landschaft zu findenden Namensträger. Die
Kalendervornamen wurden ingekürzter Form gebraucht: Matthäus = Matz, Lucas = Lutz, Bartholomäus
= Bartel, Elias = Eliß, Nicolaus = Nickel. Diese vorhin aufgeführte Schuldenlast scheint auch
durch das Versagen des Amtswalters Felix Eichen verschuldet zu sein, der bei seinem Abgang
einen Fehlbetrag von 2388 Talern hinterließ. Der spätere Verwalter Fischer scheint darin eine
glücklichere Hand gehabt zu haben. Während bei seinem Amtsantritt in Tenkitten noch zwei
Grundstücke wüst lagen, sind 1680 alle acht Höfe besetzt. Es sind dies die Bauern: Fritz
Pilger, Christopf Blumenau, Georg Stolzke, Lorenz Waldhauer, Michel Wolk, Michael Fischer,
Christoph Lepke, Erdmann Naumann. In Kalkstein wurden die Besitzverhältnisse so geregelt,
daß zwei wüste Erben der Pfarrer erhielt und die verbleibenden viereinhalb Hufen in drei
Bauerngrundstücke aufgeteilt wurden, darauf die Bauern Georg Kringel, Ewald Klein, Hans
Moritz.
Um diese Zeit ist die Versandung der Tenkitter Äcker schon weit vorgeschritten. Alle diese
Sandmassen, die heute bis zu drei Metern unseren Palwen bedecken, stammen nicht aus dem
Innenlande, sondern sind vom Strande hierher verweht. Dabei muß beachtet werden, daß der
Flugsand nicht die Steilufer, selbst nicht von mäßiger Höhe emporklettern kann. Von
Sanglienen ab gibt es keine Versandung mehr. Wie sollter der Sandogr der Tenkitter Palwen
die 30 Meter hohe Steilküste hinaufgekommen sein. Er brauchte dazu bequeme Einbruchstellen,
von denen er vom Strande aus in das Land wandern konnte. Solche Einbruchstellen waren für
Tenkitten das versandete Lochstädter Tief und von der anderen Seite die Kalksteiner Trift.
Während erstere bis zum Galgenberge vordrang, näherte sich die andere von Norden und ließ
nur einen ca. 60 Meter breiten Streifen Landes fre, in dem sich bis heute der Lehmboden
bis an die Uferkante erstreckt. Die Versandung von Lochstädt aus hat den weiteren Weg
gemacht und ist auch nicht nit einem Male durch ein ungewöhnliches Naturereignis erfolgt.
Solche Wanderung vollzieht sich oft in kleinen, kaum wahrnehmbaren Erscheinungen, und erst
bei Stürmen sieht man größere Strecken verschüttet.
Die ältesten urkundlichen Nachrichten besagen, daß im Jahre 1311 das alte Lochstädter Tief
in fünf Sturmnächten total versandet wurde. Bei der geologischen Landesaufnahme 1908 aber
fand der Geologe Harbort im alten Lochstädter Tief unter einer 1/2 bis 5 Meter dicken
Dünensandschicht ausgiebige Lager von Versandungstorf. Nach seiner Ansicht vollzog sich die
Versandung folgendermaßen: "Es ist anzunehmen, daß das ehemalige Tief ganz allmählich sich
verflacht hat und verlandet ist und darauf erst nach und nach vom Dünensand überweht wurde.
Aus diesem Grunde müssen wir die alten Berichte der Chroniken, daß das Lochstädter Tief in
einer Nacht versandet sei, als unzutreffend bezeichnen und annehmen, daß auch hier, wie so
oft in der alten Überlieferung, ein Vorgang, der sich allmählich abspielte, als eine
plötzliche Katastrophe hingestellt wird, während in Wirklichkeit vielleicht nur ein besonders
heftiger Sturm das bereits flache und vollkommen mit Röhricht bestandene und darum von der
Schiffahrt vielleicht längst nicht mehr benutzte Tief in dem möglicherweise auch noch eine
schmale Fahrrinne vorhanden sein mochte, mit einer Sanddecke überweht hat."
Der in Ordensurkunden vielfach genannte Wald Wogrin reichte vom alten Tief bis zur Gardine.
Aber um 1400 war der Wald zum größten Teil schon abgeholzt; denn um 1422 wird die Kirche mit
Waldbesitz aus dem Walde Wogrin ausgestattet. Da aber der schützende Wald gefallen war,
konnte der verheerende Flugsand, vom Südwestwinde getrieben, seinen Weg antreten und
versandete in zwei Jahrhunderten die Palwen vom alten Lochstädter Tief bis zum Tenkitter
Galgenberg. Schon 1474 bitten Pfarrer, Kaplan und Vikare den Hochmeister Heinrich von
Richtenberg um eine Hube weiteren Ackers zur Besserung ihrer Lage wegen der "Storme und
Winde". Etwa um 1610 richteten Kirchenväter und -Vorsteher an den Kurfürsten ein Gesuch um
Verleihung von eineinhalb wüsten Hufen in der Nähe von Tenkitten, da von den vier Hufen
Pfarrland die See bereits ein großes Stück weggenommen und mehr als eine Hufe, und zwar das
beste Stück, mit Sand dermaßen überfüllt habe, daß der Pfarrer es auf keinerlei Weise
benutzen könne. Die Versandung der Pfarrhufen nehmen von Jahr zu Jahr zu, und des Pfarrers
Lage sei eine so traurige, daß "er kaum Gelegenheit hat, ein Huhn zu halten." Von dem
gewaltigen Sturm, der 1669 die Adalbertskapelle zerstörte, heißt es ferner: "Derselbe
Sturmwind hat dem Pfarrer seinen Acker und die Widemb (Pfarrhof) so versandet, daß er da
nicht länger hat wohnen können, sondern sich nach Tenkitten hat begeben müssen." Dort
erhielt er "nunmehr zur Widemb Tenkitten drey Huben im Dorffe Kalkstein", die heute noch
zur Pfarrstelle gehören. Die Angabe, daß der Pfarrer den Acker in keiner Weise nutzen kann
und die schnelle Ausbreitung der Versandung lassen vermuten, daß damals kahle weiße Dünen
aufgeweht waren. Die Versandung von Norden her geschah durch die Unachtsamkeit der
Besitzer. Die in unmittelbarer Nähe der Dörfler liegenden Ackerflächen wurden beackert, die
weiter weg liegenden Gebietsteile als Weide benutzt. Das war hier ein breiter Streifen, der
sich längst der Seeküste hinzug. Obwohl die Weide vor der Versandung den schönsten
Ackerboden hatte, wurde ihr weniger Aufmerksamkeit als den Fruchtfeldern geschenkt und das
Vordringen des Flugsandes hingenommen, nicht aber wirksam bekämpft. Um eine gänzliche
Versandung zu verhüten, galt es, die Einbruchstellen des Flugsandes zu verstopfen, und dieses
geschah durch Anforsten des Waldes von Lochstädt und der kleineren Schutzwäldchen. Hierbei
ist oftmals die Gardine genannt worden. Sie ist ein alter, mit uralten Bäumen bestandener
In den fünfziger und sechziger Jahren lebten wir in
Einfeld bei Neumünster (Holstein) direkt am
dortigen See. Ganz in der Nähe gibt es dort einen
baumbestandenen Erdwall, die Einfelder Schanze.
Meine Mutter sagte damals, daß es etwas ähnliches
in Ostpreußen gab. Damit hat sie wohl die Gardine
gemeint.
(Wenn man die anfangs eingefügte Karte genau
betrachtet, sieht man einen grünen Streifen bei
dem Text "St. Adalberts-Kreuz". Das müßte die
Gardine sein.)
|
Grenzwall zwischen Tenkitten und Lochstädt. Untersuchungen haben als Kern der Anlage einen
eineinhalb Meter hohen mit Steinen besetzten Erdwall gefunden, an dessen Fuß sich ein nicht
allzutiefer Graben hinzieht. Durch 2 Meter hohe Sandschüttungen ist der Erdwall erhöht
worden. Welchem Zweck diese Anlage damals gedient hat, ist nirgends ersichtlich, und die
Ansichten der Forscher gehen hier auseinander. Die einen behaupten, der Wall wäre eine
Schutzstellung gewesen, um die Angriffe von der Nehrungsseite abzuriegeln, also aus der
Altpreußenzeit her. Andere wieder sind der Ansicht, die Anlage wäre nur ein Schutz zur
Abwehr des Flugsandes, also jüngeren Datums, als nach dem Abholzen des Waldes Wogrin die
Gefahr der Versandung des ganzen Gebietes einsetzte. Diesem Zwecke diente dann auch die
Bepflanzung. Wie dem auch sei, unter Friedrich dem Großen erhielt die Gemeinde Tenkitten
1775 einen Taler 24 Groschen aus der Amtskasse für "Anlegung eines Eichenkampes". Das ist
wohl die jüngere Generation unter den knorrigen Eichenriesen der Gardine, die jetzt unter
Naturschutz stehen.
Nachdem von der Versandung und dem Zwecke der Gardine gesprochen worden ist, geht es wieder
zu unseren Dörfern zurück, die um 1700 einen wirtschaftlichen Verfall zeigten. Auch der
bauliche Zustand der Burg muß um diese Zeit sehr übel gewesen sein; denn 1687 muß eine
umgefallene Mauer weggeräumt werden. Aus den Baurechnungen der Zeit ist ersichtlich, daß
aber der ins Haff gebaute Danzker noch vorhanden war. 1701 war die Zerstörung von Lochstädt
schon geschehen. Zwei Flügel mit dem alten Wachturm waren abgebrochen, um Baumaterial zum
Festungsbau in Pillau zu gewinnen. Folgende knappe Eintragung berichtet darüber:
"Maurermeister Freitag und ein Geselle, die beiden Krempel-Giebel des Schlosses auf beiden
Seiten, da es von den Soldaten abgebrochen, mit Biberschwänzen und Mönch und Namen zu
belegen, auch die Farsteine zu erwerfen."
Unter dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. nahm der Bauernstand wieder seinen Aufstieg,
und auch hier in Tenkitten spiegelte sich der Wohlstand wider, den des Königs geniale
Verwaltungspolitik dem ganzen Preußenlande gab. Zu dieser Zeit tritt auch an Stelle der
Naturalwirtschaft die Geldwirtschaft, und die Staatsabgaben sind in Geld umgerechnet. Unter
der Regierung dieses Königs ist auch die hiesige Schule gegründet. Das Gründungsjahr ist
1738. Sie war vorläufig noch in Lochstädt, bis sie ihr eigenes Gebäude 1741 in Tenkitten
erhielt. Es war noch ein Gebäude, das Schule, Wohnung, Stall und Scheune unter einem
Strohdach Raum für ganz bescheidene Ansprüche spendete. 1891 siedelte die Schule wieder nach
der Ruine des alten Ordensschlosses Lochstädt über und blieb daselbst bis nach Umbau des
Tenkitter Schulhauses mit dem 15.4.1929 dieses wieder und wohl endgültig ihre Heimstätte
wurde.
Es war ein gütiges Schicksal, daß der preußische Staat zwei so tüchtige Könige hintereinander
hatte. Friedrich II. setzte die Arbeit seines Vaters fort, und brachte die Russenzeit des
Siebenjährigen Krieges auch manche Beschwer durch Lieferung von Naturalien und Fuhren an die
Besatzungen, so suchte der König das Los der Bauern zu bessern. Eine wesentliche Verbesserung
des Scharwerksdienstes wurde auch in Lochstädt eingeführt; der König ging von dem Gedanken
aus, daß der Untertan wissen muß, wieviel Morgen er in den Tagen seines Dienstes zu bearbeiten
habe. Dann könnte er durch erhöhten Einsatz von Arbeitskräften die ihm zukommende Arbeit
schneller schaffen und so mehr Zeit für seine Wirtschaft gewinnen. Es wurde ein Plan
ausgearbeitet, nach dem der Amtmann mit eigenen Leuten 20 Morgen, Tenkitten 54 Morgen,
Legehnen 28 Morgen und Kalkstein 27 Morgen zu beackern hatten. Zwar mußten die Dörfer den
Hauptteil bearbeiten, aber es war doch eine erhebliche Erleichterung gegen früher, da sie
das ganze Amtsland beackern mußten und daneben noch allerlei andere Arbeiten verrichten
Ein letzter Brief aus Tenkitten..
|
Freitag, d.7? 4.45
Mein liebstes Schapke!
M.P.H Berlin
M 09658
|
Versuch, diese Post mitnehmen
zu lassen. Habe seit Geburtstagsbrief
nichts von Dir gehört. Die Lage ist
ja unglaublich! Schicke Dir ein kleines
Päckchen mit, wird Dich aber kaum
erreichen! Was soll ich schreiben, Schapke?
Kann Dir nur sagen, daß ich dich
so unendlich lieb habe. Was mögt
ihr machen? Das Männlein und
Kristinchen. Ist sie schon getauft?
Bald wirds mit der Post ganz aus
sein. Heute rummst der Russe aus
allen Rohren auf Königsberg.
Was sagen die Leute dort?
Nun für heute viele Grüsse und Küsse
Euer Peter
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.. von meinem Vater an meine Mutter. Sie
schon in Barkelsby bei Eckernförde, er kurz
darauf Gefangener in Morschansk südl. Moskau.
2 Tage später: Königsberg kapituliert.
13 Todesstrafe gegen General Lasch
13 wegen Laschheit vorm Feind!
10 Tage später: Tenkitten wird erobert.
13 Mein Vater wird Kriegsgefangener.
13 Die Rote Armee überquert die Oder.
13 Tage später: Hitlers 56. Geburtstag im ein-
13 gekesselten Berlin. Immer mehr Landser
13 und Rotarmisten kommen um - mitzufeiern.
18 Tage später: Pillau fällt.
23 Tage später: Hitler kann den Endsieg nicht
13 mehr erwarten und erschießt sich.
31 Tage später: Hitlers Krieg ist zuende.
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mußten. So schafften zwei Arbeitsgruppen auf den Feldern, die bäuerlichen und die höfischen,
kurz die "Häwschen" genannt. Letztere mit stärkeren Pferden und mit dem noch stärkeren
Selbstgefühl hatten natürlich überall das Vorfahrtsrecht, und seit jener Zeit stammt das
Wort: "Boahn rom, die Häwsche koame."
Um 1800 hatte Tenkitten nachfolgende Einwohner: Schulz Christoph Klehn, Christian Saemann,
Gottfried Moritz, Gottfried Kleinfeld, Friedrich Siedler, Christoph Böttcher, Kammerknecht
Christoph Klehn, Pfarrer Nagel, Schulleiter Rogall und Dorfhirt Johann Loepke.
1805 kam die Domäne Lochstädt in Privatbesitz. Die Dienste der drei Dörfer wurden in eine
vorläufige Geldrente umgewandelt, und somit waren sie den Scharwerksdienst los, den sie
550 Jahre in Lochstädt geleistet hatten. Als dann die gesamte Bauernbefreiung geschah,
erhielten auch die Tenkitter ihr Eigentumsrecht, bestätigt durch Besitzurkunden, die
sämtlich vom 13.August 1814 in Königsberg ausgestellt und am 28.Februar 1815 in Berlin
bestätigt worden sind. Endlich frei auf eigener Scholle.
Lange Zeit nahm nun noch die Verteilung des Dorflandes auf die einzelnen Bauern in Anspruch.
Diese endgültige Zuteilung des Grund und Bodens an die Ackerwirte hat man die Separation
genannt. Es war eine mühselige, über 50 Jahre andauernde Behördenarbeit, um jeden zufrieden
zu stellen, da die Ansprüche der Kirche nach bekannter Manier besonders groß waren. Es
erfolgte zunächst die Separation des Ackerlandes, dann die der Weiden (Palwen). Nunmehr war
jeder Bauer zu dem festumrissenen Boden seines Grundstückes gekommen. Fast wie ein Aufatmen
nach soviel Unruhe und Kopfzerbrechen klingt der Schlußsatz der letzten aller Verhandlungen:
"Comparenten erklären ihre Zufriedenheit und genehmigen ohne Streit den Recehs.
Tenkitten, den 25. Februar 1868."
Stand: 30.Juni 2002 - Text der Chronik vollständig - wird noch durch Bilder ergänzt. Einige weiterführende Verweise:
Impressum: